Artikel aus dem Diskurswörterbuch
‚Protestdiskurs 1967/68'
...
Aufklärung
Aufklärung
gehört, wie Befreiung, Bewußtmachung, Demokratisierung,
Emanzipation, Entlarvung, Politisierung, zu den zielbestimmenden
Handlungsbezeichnungen des kritischen Diskurses und drückt im
Gegensatz zu solchen Diskurselementen, die einen
gesellschaftsverändernden Anspruch bezeichnen, wie Regelverletzung,
Revolution oder Verweigerung, einen von hoher Moral und Ethik
geprägten Selbstanspruch der Beteiligten aus. Darüber hinaus
dokumentiert
Aufklärung
, wie die Diskurselemente
Autonomie/Selbstbestimmung, Emanzipation, Mündigkeit und Vernunft,
die Tradition der Spätaufklärung, in die sich die Kritische Theorie
der intellektuellen Linken, und über sie auch die studentische
Linke, stellt.
Im kritischen Diskurs der späten 1960er Jahre wird
Aufklärung
zum
einen
1
im Sinn von ‚aufschlussgebende Darlegung, Erklärung‛
verwendet (s. Habermas 1968h, 504; Habermas 1968a, 196; Habermas
1967a, 146):
Basis der Aufklärung ist eine an das Prinzip
herrschaftsfreier Diskussion gebundene Wissenschaft
;
Aufklärung muß
den Parolen erst vorangehen
;
die demonstrative Gewalt, welche die
politische Aufklärung in Anspruch nehmen darf, ist definiert durch
das Ziel der Aufklärung
. Zum andern dient
Aufklärung
2
zur
Bezeichnung politischen Handelns in der Bedeutung ‚das
bewusstseinsbildende Verschaffen von Erkenntnissen und Einsichten
mit dem Ziel der Veränderung gesellschaftlicher Gegebenheiten‛ (s.
Rabehl 1968c; Fried 1968, 263; Habermas 1969b, 9; Bergmann 1968f,
19; Claussen 1969, 6; Habermas 1968a, 192):
die Theorie gibt den
abhängigen Klassen Aufklärung
;
Aufklärungsarbeit und Überwindung des
falschen Ohnmachtsgefühls
;
Aufklärungschancen für Ziele eines
radikalen Reformismus
;
Aufklärungskampagne über Vietnam
;
Aufklärungsprozesse in Gang setzen
. Diese kontroversen Ausdeutungen
lassen sich bezüglich der Relation zwischen
Aufklärung
einerseits
und anderen politischen Handlungen, insbesondere der politischen
Aktion andererseits beschreiben. Die intellektuelle Linke,
insbesondere Jürgen Habermas, setzt beide in ein zeitliches
Bedingungsverhältnis zueinander und spricht insofern dem politischen
Handeln der studentischen Linken, das Habermas als
scheinrevolutionär bewertet, Aufklärungsfunktion ab (s. Habermas
1968a, 199):
Die Taktik der Scheinrevolution muß einer langfristigen
Strategie der massenhaften Aufklärung weichen
. Teile der
studentischen Linken und ihre intellektuellen Mentoren nehmen diese
Formulierung zitierend und ihr widersprechend in ihren Interdiskurs
auf und deuten
Aufklärung
im Gegensatz zu Habermas als Bestandteil
einer
Aktion
und im sozialistisch-kommunistischen Sinn als
Agitation
(s. Wolf 1968, 159; Dutschke 1967e, 81f.; Dutschke 1967d, 15;
Lefèvre 1968b, 50; Cerutti 1968, 41; Dutschke 1968c, 89; Negt 1968c,
29):
Aufklärung ist keine Strategie, sondern entweder eine
kurzfristige Taktik oder eine unbestimmte Negation des bewußtlosen
Zustands der Gesellschaft
;
Aufklärung ohne Aktion wird zum Konsum
;
systematische Aufklärung und direkte Aktionen
;
Aktionsprogramm zur
I,II,1 3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,...55