2.1 "klare und deutliche Begriffe" – Semantische Strukturen
"Klare und deutliche Begriffe" kennzeichnen den aufgeklärten
Verstand. Dem Wörterbuchbenutzer zu diesem zu verhelfen, ist die
Aufgabe, zu deren Erfüllung sich der Lexikograph Adelung selbst
verpflichtet. Lexikographie, so können wir seine Artikel
Aufklärung
und
aufklären
lesen, ist Aufklärung. Dieses Programm formuliert
Adelung auch in den Vorreden zu den beiden Bearbeitungen seines
Wörterbuchs, und es hat zwei Aspekte, einen systematischen und einen
historischen. Ganz im Sinn seines eigenen Aufklärungsbegriffs legte
er sich
"die Pflicht auf, den Begriff eines jeden Wortes und einer jeden
Bedeutung desselben auf das genaueste zu bestimmen; eine Pflicht,
deren Erfüllung mir bey dem ganzen Werke die meiste Mühe
verursachte.“ (Adelung 1793, S. VI) Diese Systematik der
Darstellung, die in der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen der
"sinnlichen" (d.i. konkreten) und der "figürlichen" (d.i.
übertragenen) Bedeutung besteht, ist nicht anders als historisch
angelegt. Der Historiker Adelung ordnet die Lesarten –
selbstverständlich, möchte man sagen – chronologisch:
„Die Bedeutungen, welche in den meisten Wörterbüchern nur auf gut
Glück durch einander geworfen zu werden pflegen, sind der Sache
gemäß geordnet, das ist, wie sie vermutlich aus und aufeinander
gefolget sind." (Adelung 1773, S. XIV) Adelung stellt sich die
ehrgeizige diachronische Aufgabe, die "Leiter" von der ersten,
"gemeinglich individuell[en]" Bedeutung bis zu seiner Gegenwart
systematisch Sprosse für Sprosse zu erklimmen und dabei jede Sprosse
als einzelne Bedeutungsfacette zu verzeichnen:
„Um die Leiter der Bedeutungen so vollständig als möglich zu
liefern, habe ich viele veraltete, wenigstens im Hochdeutschen
Veraltete, Bedeutungen mit eingeschaltet, wenn sie zur Aufklärung
der noch vorhandenen dienten. Dessen ungeachtet hat sich doch der
Gebrauch eines Wortes nur selten so genau bestimmen lassen, dass
derselbe auf alle vorkommenden Fälle passen sollte.“ (ebd.) Die
„Leiter der Bedeutung“ rekonstruiert Adelung in Anlehnung an die von
ihm sehr geschätzte 'Abhandlung über den Ursprung der Sprache'
Johann Gottfried Herders aus dem Jahr 1772, auf die er im dritten
Teil des ‚Versuch’ verweist: Der allmähliche Entwicklungsgang der
Sprache und des menschlichen Geistes (nach der Regel „Die Natur
macht keine Sprünge“) führt von sinnlich bzw. eigentlich zu
figürlich bzw. übertragen, von konkret zu abstrakt, und das
Auffinden der ersten sinnlichen Bedeutung und der einzelnen Sprossen
der Bedeutungsleiter ist vornehmlicher Gegenstand seiner
lexikographischen Bemühungen. Selbstkritisch räumt er allerdings
ein: „Vielleicht wird die getroffene Classifikation in manchen
Fällen Linnäisch erscheinen“ (Adelung 1773, S. XIVf.). Diese
Befürchtung war nicht ganz unberechtigt. Die Weimarer Dichterfürsten
stellen in ihrem berühmten, auf Adelung zielenden Distichon 'Der
I,II,1,2,3,4,5 7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,...55