Aus: Sprachgeschichte als
Umbruchgeschichte
Sprache im 20. Jahrhundert und ihre
Erforschung
Jahrestagung des Instituts für Deutsche
Sprache 6. - 8. März 2007
Vorbemerkung
"Heute ist der Bruch mit dem sprachlichen Universum des
Establishments radikaler: in den militantesten Formen des Protests
steigert er sich bis zu einer methodischen Umkehrung der Bedeutung"
(Herbert Marcuse, Versuch über die Befreiung, 1969)
schreibt Herbert Marcuse in ,Versuch über die Befreiung' 1969 und
manifestiert damit ein Umbruchbewusstsein, das sogar eine
sprachkritische Perspektive hat. Marcuse vergleicht die
"Wirklichkeiten" der Revolutionen des 17. und 18. Jahrhunderts mit
der Widerstandsbewegung seiner Gegenwart Ende der 60er Jahre. Alle
Elemente eines Umbruchsbewusstseins sind vorhanden: das temporale
deiktische Adverb heute, das die Gegenwart stark markiert, der
Verweis auf Sprache - sprachliches Universum - und Kategorien, die
sprachliche Veränderungen bezeichnen: Bruch mit dem sprachlichen
Universum und Umkehrung der Bedeutung.
Meine Damen und Herren, ich bin bei meinem Thema. Ich möchte für die
Beachtung des sprachlichen Umbruchs als eines Phänomens der
Sprach(gebrauchs)geschichte werben, indem ich Ihnen ein Programm
vorstelle, dessen Erkenntnisziel auf die initialen Momente
sprachlicher Veränderung gerichtet ist. Dieses Programm einer
sprachlichen Umbruchgeschichte setzt zum einen Gesellschafts- und
Sprachgeschichte unmittelbar zueinander in Beziehung und zielt zum
andern auf einen sprachgeschichtlichen Punkt - eine Fragestellung,
die es ermöglicht, Periodengrenzen sprachentwicklungsgeschichtlich
zu präzisieren und die sprachliche Dynamik innerhalb einer Periode
zu erklären.
Den Nachweis, dass diese Fragestellung durchaus erkenntnisträchtige
Befunde der Sprachgeschichte zu Tage fördert, möchte ich erbringen,
indem ich das Programm einer sprachlichen Umbruchgeschichte
integriere in die kulturgeschichtlich ausgerichtete sog. externe
Sprachgeschichte. Es ist dies das disziplinäre Axiom, das plötzliche
gesellschaftliche Veränderungen an sprachliche Verschiebungen
bindet. Danach skizziere ich dieses Programm im Kontext von
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