Aus: Sprache und Antisemitismus
Antisemitismus. Tagung der OSZE und der
Friedrich Ebert Stiftung, Mannheim, 14.
Juli 2006
Vorbemerkung
"Was seind aber die Jüden? in warheit keine Bekenner / sondern
Lästerer vnd schänder Gottes vnd Christi"
Am Anfang war die Kreuzigung - es folgt das Repertoire, das wir
kennen:
"Seind sie auch hochschädliche Leuth/ in dem sie müssige Wucherer
seind. Sie seind müssige Faullentzer/ haben weder Aecker noch
Wiesen/ können keine Handwercker treiben/ auch sonst kein
Hand=Arbeit/ sondern gehen müssig/ lassen vns arbeiten vnd im sauren
Schweiß vnsere Nahrung gewinnen / sie vnter dessen nehren sich alle
auß der armen Christen Schweiß vnd Blut/ vnd leben wohl von dem/ so
sie durch Wucher vnd Betrug denselben abschinden" (Balthasar
Friedrich Saltzmann: Jüdische Brüderschafft, 1661, Predigt, gehalten
anlässlich der Taufe eines Juden; zit. nach Hortzitz 2005, S. 66f.)
Meine Damen und Herren, dieser Text kann als prototypisch
antisemitisch gelten: Er isoliert Juden als Gruppe, grenzt sie von
einer zweiten Gruppe, der der Christen, ab, und versieht die Gruppe
der Christen mit gut, die der Juden mit schlecht bewerteten
Eigenschaften. Diese schlecht bewerteten Eigenschaften sind
Zuschreibungen, die sich aus Vorurteilen rekrutieren - ich bin bei
meinem Thema und formuliere als ersten Leitgedanken:
Antisemitismus wird erzeugt und am Leben gehalten durch den
sprachlichen Ausdruck von Vorurteilen.
Der zitierte Text stammt aus dem Jahr 1661 und ist Ausschnitt einer
Predigt, die ihr Verfasser anlässlich der Taufe eines Juden gehalten
hat. Woraus wir erkennen können: Die öffentliche Äußerung
antisemitischer Vorurteile war nicht tabubehaftet, das ist heute
anders - ich formuliere als zweiten Leitgedanken:
Antisemitismus ist historisch an unterschiedliche
Kommunikationsformen gebunden.
Das Thema ,Sprache und Antisemitismus' soll im Folgenden also im
Hinblick auf diese zwei Perspektiven dargestellt werden: zum einen
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