Kunst-Produkt, vor dem fertigen Werk - andächtig und demütig
begegnet Einstein einem eigenen Gedicht am Radio, ,Weihnacht für
Kang Koo Ri' wird gelesen: "Ergriffen stand ich vor dem Apparat und
lauschte den Worten des Rezitators" beschreibt Einstein die Wirkung
seiner Begegnung mit sich selbst, und er empfindet "unendliche
Gnade, ein Dichter sein zu dürfen, ganz Becken für den göttlichen
Strom eines Verses!" "Gnade" und "göttlicher Strom" - das sind
Verdichtungen, die Einsteins Haltung zu seiner Kunst und zu seinem
Künstlertum begrifflich erfassen.
Dichter haben Vorbilder, haben inspirierende Lieblingsdichter. Rilke
(den Cornet liest Einstein wieder und wieder) und Hesse (Siddharta),
Heine, Brecht und Borchert zählen zu seiner Lieblingslektüre. Die
Formulierung Einsteins aus dem Schlaflied für Daniel "Die Scheiben
klirren im Wind" ist ohne Hölderlins "und die Fahnen klirren im
Wind" (Hälfte des Lebens) nicht zu denken. Dominierend scheint
jedoch der expressionistische Einfluss, und ganz besonders derjenige
Georg Trakls zu sein: "Beim Lesen eines Trakelschen Verses erlebe
ich den alle Erfahrung übersteigenden Augenblick: das Wunderbare,
das schlechthin Unsagbare .. Nur die religiöse Verzückung der Nonne
ist dem stummen Aufschrei des Dichters vergleichbar. In beiden wohnt
Gott wie der Kern in der Schale" lesen wir in seinem Tagebuch. Die
Spuren Trakls in Einsteins Gedichten sind unübersehbar, nicht nur
hinsichtlich der Bearbeitung von gleichen Themen, wie etwa
Einsamkeit, Heimatlosigkeit, Kindheit; nicht nur hinsichtlich des
expressionistischen emphatischen Ausstoßes "O", "O Mensch", den
Einstein variiert zu "O Trost", "O Irrsinn", "O Schwester", "O List
des Herzens", "O diese Augen", "O weisse Kissen", "O Nacht" und das
Trakl in Varianten wie "O ihr dunklen Augen", "O die Nähe des
Todes", "O ihr zerbrochenen Augen", "O Narr! O Tor!", "O Herz"
gebraucht. Wir können stärksten Einfluss Trakls z.B. hinsichtlich
der Wahl von Farbadjektiven vermuten. Ist es Zufall, dass beiden
Dichtern in auffallend hoher Intensität und Frequenz die gesamte
Farbpalette verfügbar ist, ist es Zufall, dass beide eine
offensichtliche Vorliebe für "weiß" haben? Dafür sprechen nicht die
konventionellen Verbindungen Einsteins wie "weißes Sterbekleid",
"weiße Rosen", "weiße Haut", "weißes Linnen", oder Trakls "weiße
Wolken", "weiß der Mond", "weißes Linnen". Sondern es ist der
assoziative und symbolische Gehalt, der Einstein zu Formeln
veranlasst wie "weiße Räume", "weiße Nacht", "weiße Einsamkeiten",
"weiße Stille", der Trakl Formulierungen wie "der Fremden weißer
Schatten", "weißer Schlaf", "weiße Stimmen" eingibt.Solche
Rezeptionsspuren gründlich zu rekonstruieren müssen wir uns hier
leider versagen. Es ist dies ist ein Gegenstand, auf den ich jedoch
eindringlich verweisen möchte.
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