Aus: Die Konstruktion der KZ-Welt im
Gerichtssaal. Das Redeverhalten der
Angeklagten im Auschwitz-Prozess. (2007)
Während des Frankfurter Auschwitz-Prozesses versuchte das
Geschworenen-Gericht, den Anteil der angeklagten
nationalsozialistischen Handlungsbeteiligten an dem
Zivilisationsbruch Auschwitz zu rekonstruieren und auf der Folie der
Norm eines Rechtsstaats zu bewerten.
Grundlagen dieser Rekonstruktion und Bewertung waren im Wesentlichen
zum einen Ermittlungsergebnisse der Anklage, die diese im Vorfeld
der Hauptverhandlung erarbeitet hat und deren Ergebnis der
Eröffnungsbeschluss und die 700seitige Anklageschrift darstellen.
Zum andern stützt sich das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung
auf die Aussagen der Zeugen (360 waren erschienen, nicht alle waren
glaubwürdig). Die Einlassungen, Aussagen und Erklärungen der zwanzig
Angeklagten bestanden im Wesentlichen in Leugnungen der einzelnen,
sie betreffenden Schuldvorwürfe, die den Aussagen der Opfer
widersprachen. "Angeklagte [bringen] ihre eigene Version dessen, was
ihnen in der Anklage zur Last gelegt wird, in die Verhandlung ein
[.]" (Hoffmann 1983: 79) - selten hatte diese Feststellung wohl mehr
Gültigkeit als zur Zeit des Frankfurter Auschwitz-Prozesses 1963 bis
1965.
Der Frankfurter Auschwitz-Prozess ist seit dem Nürnberger Tribunal
der erste große Prozess, der nationalsozialistische Gewaltverbrechen
zum Gegenstand hatte, mit, hinsichtlich ihrer Position im
nationalsozialistischen Gewaltgefüge, gänzlich anderen Tätertypen,
als diejenigen, die etwa Göring oder Speer vertraten. Es sind die
subalternen Exekutoren des nationalsozialistischen
Menschenvernichtungsplans, die das Frankfurter Gericht als Täter
bzw., mehrheitlich, als Tatgehilfen erkannte. Es sind diejenigen,
denen die Opfer physisch ausgeliefert waren, diejenigen, die Hand an
die Opfer legten und die ihnen von Angesicht zu Angesicht
gegenüberstanden. Es ist ein kleiner Teil der Personage des
nationalsozialistischen KZ- und Vernichtungsszenarios. Unter ihnen
sind "Sadisten oder Schizophrene, die es in jeder Gesellschaft
gibt", ebenso wie "die typischen NS-Täter" (Schwan 2001: 74), solche
"denen noch ein (rudimentäres) Gewissen schlägt, denen Reste der
traditionellen Moral noch gegenwärtig sind und die sich trotzdem an
Mord, Lüge, Verrat beteiligen" (ebd.).
Die Nürnberger Hauptkriegsverbrecher, Generäle u.a. dagegen sind die
Handlungs- und Funktionsträger des ,Dritten Reichs', die nicht nur
Entscheidungen trafen, sondern auch Befehle auf höchster Ebene
erteilten, zum Beispiel den Befehl zur sog. 'Endlösung'. Ihr
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