Schuldanalysen. Von daher rechtfertigt sich eine Beschäftigung mit
dem Text der ,Schuldfrage' aus der sprachwissenschaftlichen
Perspektive. Denn die Darstellung und Beschreibung zentraler Texte
der deutschen Sprache ist eine der wichtigen Aufgaben der
Sprachwissenschaft. Die Bedeutung des Textes ist im Folgenden im
Sinn einer linguistischen Hermeneutik zu erschließen.
Diese Aufgabe bedeutet: Textverständnis herstellen mit demjenigen
Instrumentarium, dessen Anwendung am ehesten dieses Verständnis
befördern kann. Dieses Instrumentarium ist nicht im Sinn eines
universalen, allgemeingültigen, auf Texte gleich welcher Provenienz
anzuwendenden Modells zu haben. Es ist der Text selbst, aus dem es
abzuleiten ist. So meint linguistische Hermeneutik eigentlich keine
Methode. Denn je nach Beschaffenheit eines Textes kann linguistische
Hermeneutik methodisch Unterschiedliches bedeuten: ein Gespräch
gesprächsanalytisch zu beschreiben, eine Rede hinsichtlich ihrer
rhetorischen Figuren, einen literarischen Text in Bezug auf seine
Metaphorik usw.
Vielmehr möchte ich linguistische Hermeneutik als ein Anliegen
bezeichnen, einen Beitrag zum Verständnis eines Textes zu leisten
qua Sprachanalyse. Was bedeutet dieses Anliegen im Fall der
,Schuldfrage'? Der vorliegende Aufsatz versteht sich als ein Beitrag
zur praktischen linguistischen Hermeneutik, weil er die
Begrifflichkeit eines zentralen Textes der frühen Nachkriegszeit
erklärt und ihn in den diskursiven Kontext stellt. Linguistische
Hermeneutik heißt also im Folgenden, das Verständnis des Textes von
Karl Jaspers zu erschließen über die Erklärung des begrifflichen
Netzes des Textes - das heißt in diesem Fall: Deutung der, von
Jaspers eingeführten vier Schuldkategorien - und über die Verortung
des Textes in dem zeitgenössischen Diskurs, dessen Teil er ist, über
seine Einbettung in seinen historischen Kotext.
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