Aus: Siegfried Einstein - Dichter,
Emigrant, Zeitkritiker
Spurensicherung. Zum 40. Todestag von
Ernst Toch (1887-1964). Mannheimer
Emigrantenschicksale. Mannheim, 12./13.
November 2004
Einführung: Der Dichter Einstein
"Ich habe ein Leben lang/gekämpft, gefürchtet, geweint, gelacht,
gestritten, / geschlichtet, gewußt, gehofft, gebeichtet, gelogen, /
.. / gepeinigt, geheiligt, getreten, gedacht, geblödelt, / gerufen,
gehorcht, geliebt, gelebt - gelebt, / gelebt. Gelebt? - Geträumt vom
LEBEN!"
Dieses Gedicht, das ich hier stark verkürzt habe, ist überschrieben
Mein Leben. Es datiert vom 11. April 1983, vierzehn Tage später, am
25. April 1983, ist Siegfried Einstein gestorben.
In höchstem Maß verdichtet stellt er sein Leben in diesem Gedicht
dar, ein Leben, dessen Spuren in einer umfangreichen
Hinterlassenschaft zugänglich sind. Eine annähernd diesem komplexen
Leben entsprechende Darstellung ist hier nicht zu leisten. Vielmehr
müssen einige wenige Schlaglichter genügen. Sie sollen eine Skizze
sein, sie sollen aufmerksam machen und anregen, den Nachlass
Siegfried Einsteins systematischer zu dokumentieren und
darzustellen, als es hier möglich ist.
Kommen wir noch einmal zurück auf die eben zitierten Verse: Unter
den 61 verschiedenen Tätigkeiten, die Einstein in ,Mein Leben'
aufzählt, fehlt eine, von der wir sagen müssen, dass es die
wichtigste war: ,Ich habe ein Leben lang gedichtet' - zu dieser
Aussage hat sich Einstein nicht verstanden, obwohl es doch wohl eine
der zutreffendsten ist. Die dichterische Neigung Einsteins hat sich
früh ausgedrückt. Die gut situierte Bürgerlichkeit seines
Elternhauses - Einstein wird 1919 in der schwäbischen Gemeinde
Laupheim als Sohn eines wohlhabenden Besitzers des größten
Textilkaufhauses in dieser Region geboren - diese Wohlhabenheit also
und die Begeisterung seiner Familie von seinen ersten dichterischen
Versuchen haben ihm Raum geboten, seine Begabung zu befördern. Unter
der Archivnummer 141 finden sich in seinem Nachlass in Sütterlin
niedergeschriebene Gedichte der Jahre 1931 bis 1933. Einstein ist 27
Jahre alt, als sein erster Gedichtband, Melodien in Dur und Moll, im
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