Aus: Schuldperspektiven - Heimrad Bäcker
und der NS-Diskurs
Verleihung des Heimrad-Bäcker-Preises.
Linz, 19. Juni 2007
"es ist ganz einfach, die atemzüge hören auf, einmal bei dem, dann
bei jenem .. die leichen bleiben auf den betten liegen, neben den
lebenden oder halbtoten" (Levy-Haß, Tagebuch Bergen-Belsen 1944/45;
n/117)
"die völkerwanderung der juden werden wir in einem jahr bestimmt
fertig haben; dann wandert keiner mehr" (Himmler; 71)
"die deportationszahlen für die zonen I bis V sind in der tabelle 71
wiedergegeben" (Hilberg, Vernichtung; 52) drei Äußerungen, drei
Perspektiven, ein Gegenstand - ein Opfer, ein Täter und ein
Historiker reden über den Nationalsozialismus. Diese Äußerungen sind
einander nicht vermittelbar. Denn: Die Redenden haben
Erfahrungshorizonte und Wirklichkeitswahrnehmungen, wie sie
unterschiedlicher nicht sein könnten. Nur über ihr Thema - die
Verbrechen der Nationalsozialisten - sind sie aufeinander beziehbar.
Diese Verbrechen sind Gegenstand eines Diskurses, der als
Schulddiskurs spätestens seit 1945 Teil der sprachlichen
Wirklichkeit ist. Das Werk Heimrad Bäckers gehört dazu.
Meine sehr verehrten Damen und Herren - ich bin bei meinem Thema:
,Schuldperspektiven'. Ich möchte unter dem Aspekt Schuldperspektiven
Heimrad Bäckers Hauptwerk, ,nachschrift' und ,nachschrift 2', als
Beitrag zum nachkriegsdeutschen Schulddiskurs beschreiben -
zunächst, indem ich beispielorientiert zwei zentrale
Darstellungsverfahren Bäckers vergegenwärtige; dann, indem ich
Bäckers Beitrag diskursgeschichtlich bewerte. - Ich erinnere Sie
daran, dass keine Literaturwissenschaftlerin vor Ihnen steht.
,Schuldperspektiven' also: Das System ,nachschrift', wie Bäcker sein
komplexes Darstellungsverfahren nennt, hat einen identischen
komplexen Gegenstand, und jeder Text in diesen beiden Werken ist
gleichsam eine Facette des Ganzen: ,System nachschrift' - das meint,
in Bäckers eigener Formulierung, "Reihung, Wiederholung, Aufzählung,
Aussparung oder einfache Wiedergabe von Zitaten", es meint ein
"Verfahren 1:1 (.. Dokument = Text)", es meint "Reduktion,
Wiederholung, Montage, serielle Mittel". Die Sinn-Einheiten haben
die Form von Sprache und Zahlen, von Augenzeugenberichten und
Fahrplänen, von verwitterten Papierschnipseln und von
programmatischen Texten, von Tagebucheinträgen und Briefen, von
Aussagen, Formularen, Tabellen - die "Banalität des Bösen ..
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