nämlich "die Art der Täuschung und des Irrens zu gewinnen" (XX 191),
m.a.W. denkend Wahrheit zu erkennen:
"In Zeiten, wo die Täuschung gefordert und die Irrtümer gefördert
werden, bemüht sich der Denkende, alles, was er liest und hört,
richtigzustellen. Was er liest und hört, spricht er leise mit, und
im Sprechen stellt er es richtig. Von Satz zu Satz ersetzt er die
unwahren Aussagen durch wahre. .. setzt er richtige Sätze gegen
unrichtige, ohne sich um den Zusammenhang zu kümmern. Er zerstört
den Zusammenhang der unrichtigen Sätze, wissend, daß der
Zusammenhang Sätzen oft einen Anschein von Richtigkeit verleiht."
(XX 191)
"Brechts sprachkritischer Ansatz hätte zum Vorbild für wirksame
politische Sprachkritik gegen den Nationalsozialismus werden können,
wenn Brecht nicht hätte durch Zensur verstummen und aus dem
faschistisch gewordenen Deutschland emigrieren müssen" kommentiert
Peter von Polenz mit berechtigtem Bedauern Bertolt Brechts
seinerzeit ungehört gebliebene sprachkritische Aufklärungsversuche.
Den linguistisch-methodischen Wert von Brechts Sprachkritik sieht v.
Polenz in der "Vorwegnahme der Methoden text- und
argumentationsanalytischer Sprachkritik der post-1968er-Zeit"
(ebd.). Es sind die Methoden der Sprachpragmatik, wenn Brecht sich
"nicht mit der Kritik von Einzelwörtern [begnügte], sondern .. mit
Sätzen oder ganzen Äußerungen als den kleinsten Sinn- und
Handlungseinheiten der Sprache [arbeitete]" (ebd. 314).
Bertolt Brecht zählt zu den ausgewiesenen Kritikern der
nationalsozialistischen Sprache und gehört damit in die Reihe von
Klemperer und Sternberger/ Storz/ Süskind. Was ihn von diesen
unterscheidet, ist ein Verständnis von Sprachkritik, die sich bei
diesen als Moral-, bei Brecht hingegen als Systemkritik ausprägt.
Und: Eine Vorstellung von schuldiger Sprache, wie sie sich vor allem
im 'Wörterbuch des Unmenschen' manifestiert, muss dem Marxisten, der
auf den handelnden Menschen setzt, gänzlich fremd sein. Brecht hält
die Sprecher für schuldig und ist damit eigentlich seiner Zeit
voraus, indem er eine Position einnimmt, die von der
Sprachwissenschaft erst Mitte der 60er Jahre eingeklagt wurde.
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