die tatsächlichen Verderber des deutschen Vaterlandes, nämlich das
Nazitum, zu führen, mindestens aber passiven Widerstand gegen dessen
verbrecherische Handlungen zu leisten" (020/1947; I 416).
Dieser Text stammt aus einer Urteilsbegründung des Jahres 1947. Dem
Angeklagten dieses Verfahrens wird die widerrechtliche Erschießung
von Personen zur Last gelegt, die in den letzten Kriegstagen durch
Hissen der weißen Fahne versuchten, dem Wahnsinn ein Ende zu
bereiten. Die dialektische Interpretation des Arguments
,Vaterlandsliebe' erlaubt die Bewertung der Tat - unter Beibehaltung
der patriotischen Attitüde - als "schändliche Ermordung",
"Terrorakt" "ohne jede Spur von Recht", indem das Opfer u.a. "auf
grausame und unmenschliche Weise durch Erhängen auf öffentlichem
Marktplatze und durch schändliche neunstündige öffentliche
Ausstellung auf diesem Platze" entehrt wurde. Die charakterlichen
Dispositionen eines solcherart schuldigen Täters sind die des
menschlichen Abschaums: "primitive Persönlichkeit[..]", "eindeutiger
nationalsozialistischer Aktivist", "typische[r] Vollstrecker
Hitlerischer Wünsche", der zu den "unentwegten Vertretern der
Parteiuntermenschen [gehörte], die als Vertreter des Staats- und
Parteiregimes ohne Besinnen Verbrechen begingen und mit daran
beteiligt waren, dass das Hitlertum nicht als politisches System,
sondern als gigantisches Verbrechertum anzusehen ist". Sie seien
verantwortlich für das "Gesamtergebnis, dass Deutschland den zweiten
Weltkrieg auf seinen eigenen Trümmern beschliessen konnte und sein
moralisches Ansehen in der ganzen Welt verloren" habe. Dieser
Richter ist kompromisslos: "Mit durchaus persönlicher
Untadelhaftigkeit hat es weiter nichts auf sich, wenn sie Leuten
eignet, die sich so, wie K., dazu hergaben, einer so unzweifelhaft
schlechten Sache zu dienen" (020/1947; I 414-417).
Richter sind empfindlich und argumentieren damit, wenn der
Angeklagte "sich .. auf alle mögliche Weise von der Verantwortung ..
zu entlasten versuchte", wenn er "sich nach der meist jetzt von
nationalsozialistischen Angeklagten beliebten Methode mit
Nichtwissen zu exkulpieren gesucht" hat (020/1947; I 414). So lassen
sich Urteilsbegründungen auch als Psychogramm der deutschen
Nachkriegsbefindlichkeit lesen, die Fundamentalethisierungen
gleichkommen:
"[Die] heutige Volksmeinung [ist] schon deshalb ein schlechter und
ungeeigneter Richter, weil das deutsche Volk .. zu einem grossen
Teile Richter in eigener Sache [ist]. .. Wir Deutschen [ziehen] uns
gar zu leicht auf Schicksal und Tragik zurück[..] .. [Es ist]
leichter, sich als Opfer der Umstände hinzustellen und die Schuld
ausser uns zu suchen, sich aus der Wirklichkeit in die Illusion zu
flüchten .. [Es ist aber eine] gefährliche Illusion, wenn man
glaubt, sich der Schuld, welche nicht nur den Verführer, sondern
auch den Verführten trifft, durch das bequeme Mittel des Appels an
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